Potosí

Nach unserer Wüstentour geht’s direkt weiter in die Minenstadt Potosí. Im Bus gibt’s erstmal wieder ein Gerangel um die Plätze. Eigentlich hat jeder eine Sitznummer, kurz vor Abfahrt schleichen sich allerdings immer einige Leute in den Bus und setzen sich auf leere Plätze, in der Hoffnung, dass der Bus nicht ausgebucht ist. Wir müssen leider einen sehr gebrechlich wirkenden alten Mann wieder aus dem Bus schicken, was uns sehr sehr Leid tut…

Beim Aussteigen treffen wir dann 2 Schweden und 1 Kanadierin wieder, die wir im Office von unserer Organisation in Uyuni kennengelernt haben. Wie sich herausstellt hatten wir noch super Glück mit unserer Tour. Bei den anderen ist das Auto ständig stehen geblieben und es gab kaum Essen 😉 Wir suchen uns zusammen ein Hostel in dem wir auch die nächsten Tage verbringen, da wir irgendein Essen auf der Tour nicht vertragen haben.. na toll, dabei stand die nächsten Tage eine Eiswanderung auf 6000m an mit Eispickeln und Steigeisen. Leider leider fällt dass nun aus, aber Potosí ist dafür wirklich eine hübsche Stadt mit vielen Gebäuden im Kolonialstil. Die Silbermine hat die Stadt damals reich gemacht, während sie mittlerweile einfach nur noch von den reichen Ländern ausgebeutet wird. Während Potosi früher mal die reichste Stadt der Welt war (die Einnahmen der Silbermine haben im 15. Jahrhundert 25% des Gesamteinkommens von Spanien ausgemacht), ist sie heute zumindest noch die höchste Stadt der Welt (4096m).

Montags ist Lukas leider immer noch nicht fit, aber ich möchte unbedingt noch die Mine besichtigen bevor es weiter in die Hauptstadt Sucre geht. Zuerst haben wir ein bisschen gehadert, da es die gefährlichste Mine der Welt ist (8 Millionen Menschen sind hier in den letzten 400 Jahren gestorben) und ob es ethisch vertretbar ist, Menschen bei so elendiger Arbeit zuzugucken ist auch fraglich. Aber wo man als Geophysiker schonmal vor einer Silbermine steht muss man sich das ja wohl auch angucken.

Die Minentour startet also an dem Minersmarket, an welchem es Dynamit, Kokablätter, 96-prozentigen Alkohol, Zigaretten und Saft zu kaufen gibt. Potosí ist die einzige Stadt der Welt, in der jeder legal Dynamit kaufen kann. Wir kaufen hier eine Mitbringseltüte für die Minenarbeiter in der von allem ein bisschen drin ist. Das Dynamit müssen die Arbeiter nämlich selbst kaufen, somit ist er auch ein gutes Geschenk. Der Alkohol ist wohl hauptsächlich ein Mittel gegen die Kälte in der Mine. Bevor davon getrunken wird, schüttet man ein paar Tropfen auf die Erde um Pachamama (Mutter Erde) zu würdigen. Das dürfen wir vor Ort direkt ausprobieren – und ja, der Alkohol brennt ganz schön und lange in der Speiseröhre. Immerhin ist mein Magen jetzt hoffentlich desinfiziert 😉

Bevor es zur Mine geht, werden natürlich noch Kokablätter in die Backen gesteckt. Die Leute in Potosí und insbesondere die Minenarbeiter haben riesige Backen, so voll sind sie mit Kokablättern. Das Zeug soll so ziemlich gegen alles helfen, vor allem jedoch gegen die Höhenkrankheit und Magenbeschwerden. Vor der Mine stehen einige alte, zerfallene Industriegebäude und generell sieht man dem Berg direkt an, dass hier einiges abgebaut wird. Die Minenarbeiter haben gerade Pause und stehen noch draußen herum. Unser Guide meint, dass es keinen festen Arbeitszeiten gibt, meistens wird jedoch 5-8 Stunden gearbeitet. Er selbst hat hier 15 Jahre gearbeitet. Angefangen hat er mit 13 Jahren. Das Anfangsalter hängt davon ab, wie viele Geschwister man hat und wie viel Geld die Familie benötigt. Außer der Mine gibt es in Potosí nämlich nicht viele Jobs. Die Öl-Industrie (Haupteinnahme Boliviens) gibt es hauptsächlich in Santa-Cruz, Textilien um La Paz herum und Landwirtschaft im Norden des Landes.

Der Eingang der Mine sieht wenig viel versprechend aus. Ein einfaches Loch im Berg, welches durch alte Holzbalken abgestützt wird und aus welchem Schienen ins Freie führen. Nun, dies ist der Hauptschacht. Insgesamt gibt es 200 verschiedene Eingänge in diesem Berg. Unser Guide Jonny nennt den Berg einen Schweizer Käse. Ein wirkliches System gibt es bei dem Anlegen der Gänge nämlich nicht. Seit hier 1545 angefangen wurde zu graben, gilt das Prinzip der Erfahrung. Ingenieure oder ähnliches wurden nie zu Rate gezogen. Dementsprechend gibt es auch keine Maschinen sondern nur Menschenkraft, Dynamit, Spaten, Schubkarren, Loren und Taschenlampen. Na klingt doch alles vielversprechend, also rein da.

Zwischen den Schienen und den niedrigen, zum Teil sehr geknickten und marode wirkenden Holzbalken welche den Gang stützen bahnen wir unseren Weg ins Berginnere. Während der Boden von schlammigem Wasser bedeckt ist, muss man sich sehr weit bücken, denn der meiste Teil des Schachts ist gerade so hoch, dass die Loren hindurch passen.

Unsere erste Station ist der „Tio“, auf deutsch Onkel. Im Bergwerk-Jargon symbolisiert die Figur des Tio den Teufel, den Herrscher über die Unterwelt. Dieser bunten Steinfigur müssen Opfergaben erbracht werden, zum Schutze der Minenarbeiter. Vor jeder Schicht werden also Kokablätter und Schnaps über Kopf, Hände, Beine und den beachtlichen Penis des Tios gekippt. Außerdem bekommt er eine brennende Zigarette in den Mund. Der Aberglaube reicht auch eigentlich soweit, dass keine Frauen in Minen erlaubt sind. Schon garnicht als Arbeiter (an dieser Stelle beschwert sich hoffentlich niemand über die „fehlende Emanzipation“) aber auch nicht als Touristen. Seitdem die Besucher aber Geschenketüten mitbringen, wird über das Touristinnenverbot jedoch hinweggesehen.

Nach dem Begießen des Tios geht es gebückt weiter in den Berg hinein. Uns wird auch schon die erste Silberader gezeigt, welche sich an der Decke entlang schlängelt. Die Silberadern verlaufen hier immer von Nord nach Süd und helfen den Minenarbeitern somit bei der Orientierung. Zur Kommunikation wird die Spitzhacke genutzt. 5 Schläge bedeuten Sprengung. Pro Sprengung werden um die 10 Dynamitkerzen in die Steine gesteckt. Die Zündschnüre sind je 1m lang. Als Resultat der Sprengung gibt es einen 1,5m langen neuen Gang, wobei der Schutt mit Spaten und Schubkarren in alte Gänge gekarrt wird (in rasantem Tempo) und die mineralhaltigen Steine zu den nächstgelegenen Loren. Neben Silber bietet die Mine noch Zink und Zinn. Alle drei werden noch mitsamt der Steine, welche sie enthalten exportiert (meist nach Chile und Argentinien) und dort weiterverarbeitet. Das Endprodukt müssen die Bolivianer bei Bedarf teuer zurückkaufen (als Beispiel nennt Jonny die Lithium Batterien der Taschenlampen, welche aus dem Lithium von Uyuni in anderen Ländern produziert werden).

Nach einer Weile biegen wir von der Schienenstrecke ab. Was man eher als Loch in der Wand bezeichnen würde ist tatsächlich unser Weg in den wir klettern müssen. Hier gibt es einen Schacht aus welchem die Steine der unteren Gänge mithilfe einer Kurbel hochgezogen werden können um zu den Schienen gebracht zu werden. An dieser Stelle gibt es wohl 4 verschiedene Etagen, die aus Sicherheitsgründen jeweils ca 5-8m auseinander liegen. Die unterste steht jedoch voller Wasser und ist somit nicht mehr in Betrieb. Über uns ist auch ein Loch, welches zur Sauerstoffversorgung dienen soll. Eins der wichtigsten Werkzeuge der Minenarbeiter ist somit auch das Feuerzeug – einerseits zum Testen, ob genügend Sauerstoff vorhanden ist, andererseits für den Fall, dass die Taschenlampe den Geist aufgibt, Licht gibt es hier natürlich nicht. Als Beweis dürfen wir unsere Taschenlampen für ein paar Minuten ausmachen und Jonny macht sich einen Spaß daraus die 19-jährigen Mädchen zu erschrecken was ihm ausgezeichnet gelingt.

Als nächstes dürfen wir einen Stockwerk nach unten. Dafür gibt es ein Loch im Boden, wo man an den vorhandenen Steinen nach unten klettern kann. Da die Steine recht feucht sind und es zu den Seiten oft weit runter geht ist das Ganze garnicht soo einfach. Als Tourist ganz aufregend, aber jeden Tag hier herunter zu klettern um zur Arbeit zu kommen ist was ganz anderes. Danach geht es über ein einfaches Holzbrett über einen 70m tiefen Schacht und anschließend gibt es tatsächlich eine Leiter.

An dieser Stelle treffen wir auch zwei Arbeiter, denen wir unsere Geschenke andrehen dürfen. Einer der beiden legt kurz eine Pause ein und teilt den von uns mitgebrachten Schnaps gemischt mit Saft mit uns (vor jedem Schluck wird die Erde natürlich ordentlich gesegnet). Zwischendurch taucht auch ein dritter Arbeiter aus der Dunkelheit auf und holt sich ein paar Schlücke.

Nach ein bisschen Smalltalk, größtenteils über Fußball und die WM (an der Chile zur großen Freude der Bolivianer nicht teilnimmt) lassen wir die drei dann in der Dunkelheit zurück und marschieren über einen schlammigen Weg in Richtung eines anderen Ausganges. Jonny geht nun hinten und meint, wenn eine beladene Lore (je 1 Tonne schwer) von hinten angerollt kommt, schreit er und wir sollen sofort „zur Seite“ springen. Zur Seite in Anführungszeichen weil es eigentlich kaum eine Seite gibt aber wir müssen das Ganze auch glücklicherweise garnicht ausprobieren. Der Gang endet im Hellen auf einer kleinen Anhebung. Zu beiden Seiten können hier die Ladungen der Loren auf LKWs verladen werden. Wobei der Hang etwas zu breit ist, als dass man die Lore einfach nur auszukippen bräuchte. Auch hier kommt also der Spaten zum Einsatz, was sich so viel einfacher lösen lassen könnte.

Insgesamt läuft die Arbeit hier in den Minen vermutlich also nicht viel anders ab als vor 500 Jahren – auch wenn die Laternen durch Taschenlampen und die Körbe durch Schubkarren ersetzt wurden. Die Leute riskieren immer noch jeden Tag ihr Leben und haben aufgrund der staubigen Luft eine Lebenserwartung von 50-60Jahren. Der Lohn ist abhängig von der erarbeiteten Mineralienmenge und dem internationalen Preis für Silber, Zinn und Zink. Durchschnittlich liegt er wohl bei 5000 Bolivianos im Monat (ca 600€), was über dem Mindestlohn von 1500-2000 Bolivianos je nach Region liegt (180 bis ca 250€). Allerdings müssen die Arbeiter das Dynamit, Werkzeuge und die Luftversorgung in der Mine selbst zahlen, dazu noch Steuern und somit bleibt von den 5000 Bolivianos wohl kaum noch etwas übrig. Im Moment ist der Silberpreis wohl recht hoch und somit auch die Stimmung in Potosí. Trotzdem interessant zu sehen, dass niemand von den Silber-Profitanten daran interessiert ist die Arbeit in der Mine sicherer zu gestalten.

Wir sind ja weiterhin gespannt ob Bolivien dem Druck der Industrieländer standhält und dafür sorgt, dass sie zumindest ihr Lithium aus Uyuni im eigenen Land verarbeiten können anstatt die wertvollen Rohstoffe an andere zu verscherbeln, welche damit reicher und reicher werden.

3 Kommentare bei „Potosí“

  1. Das war sicherlich eine sehr interessante Tour;aber auch nicht ganz ungefährlich.Schade das Lukas noch nicht so richtig fit für die Mine war,

  2. Geile Nummer!
    Lukas werd mal wieder fit 😀
    Lg aus Dortmund!
    Johannes

    1. Bin ich wieder! 😉

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